Was ist Moderne Sklaverei?
Schon die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 hält in Art. 4 fest: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten.“ Obwohl heute zwar in keinem Staat mehr die Versklavung von Menschen rechtlich legitimiert ist, gibt es dennoch nach wie vor verbreitete Formen rechtswidriger Ausbeutung von Menschen.
Früher beruhte Sklaverei meist auf einem rechtlich anerkannten Besitzverhältnis über die versklavten Menschen. Nach dem Verbot der rechtlich legitimierten Formen der Sklaverei hat sich die Bedeutung des Begriffs der Sklaverei ausgeweitet. Der Begriff der „Modernen Sklaverei“ ist kein juristisch definierter Begriff. Er ist eher als eine Art Überbegriff für diverse Praktiken zu verstehen. Dass es keine einheitliche Begriffsbestimmung gibt sorgt dafür, dass die Angaben zum Umfang moderner Sklaverei teils sehr unterschiedlich ausfallen. Sehr allgemein verstanden bedeutet moderne Sklaverei, dass eine Person zum Zweck der wirtschaftlichen Ausbeutung unter der Kontrolle einer anderen Person steht, welche Gewalt- und Machtmittel einsetzt, um diese Kontrolle aufrechtzuerhalten.
Dabei treten vor allem
- Zwangsarbeit,
- Schuldknechtschaft,
- Zwangsprostitution,
- Zwangsheirat und
- Menschenhandel
in den Vordergrund.
Moderne Sklaverei bezieht sich also auf Situationen der Ausbeutung, die eine Person aufgrund von Drohungen, Gewalt, Zwang, Irreführung und/oder Machtmissbrauch aus eigener Kraft nicht verlassen kann.
Das Ausmaß moderner Sklaverei
Alle Erscheinungsformen der modernen Sklaverei finden größtenteils im Verborgenen statt.
Einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Walk Free Foundation zufolge waren 2016 40,3 Millionen Menschen Opfer moderner Sklaverei.
- Davon waren 24,9 Millionen von Zwangsarbeit betroffen,
- und 15,4 Millionen waren Opfer einer Zwangsheirat.
- Weiter waren rund 10 Millionen der Betroffenen minderjährig, also Kinder und Jugendliche. Diese sind insbesondere Opfer von Zwangsheiraten und von sexueller Ausbeutung.
Die am weitesten verbreitetste Form der modernen Sklaverei ist die Schuldknechtschaft. Schuldknechtschaft bedeutet, dass eine Person, die einer anderen Person Geld schuldet sich bereiterklärt oder verpflichtet wird diese Schulden abzuarbeiten. Der Umfang und die Dauer der Arbeitsleistung sind dabei nicht bestimmt. Den Schuldnern ist also nicht klar, wie lange und wie viel sie zur Abarbeitung ihrer Schulden arbeiten müssen. Dabei wird die Arbeitsleistung der Schuldner in erster Linie aber gar nicht zur Tilgung der Schulden verwendet. Die Schuldner „verschulden“ sich fortgehend weiter durch Zinsen oder Kosten für Verpflegung und Unterbringung, sodass niemals klar ist, ob sie sich aus der Schuldknechtschaft werden befreien können.
Eine weitere weit Verbreitete Form der modernen Sklaverei ist die Zwangsarbeit. Zwangsarbeit ist eine Leistung, die einer Person unter Androhung einer Strafe abverlangt wird und die die Person nicht freiwillig erbringt. Zwangsarbeit ist sowohl im Verhältnis zum Staat, als auch zu privaten Arbeitgebern möglich.
In Europa findet moderne Sklaverei vor allem entlang internationaler Lieferketten statt. Die Nicht-Regierungs-Organisation Electronics Watch dokumentierte zum Beispiel Vorfälle illegaler Anwerbungsgebühren die zu Schuldknechtschaft bei der Herstellung von Druckern, Laufwerken und weiterem Computer-Zubehör in Thailand führen. Die „Kampagne für Saubere Kleidung“ ruft dazu auf, Zwangsarbeit in der Chinesischen Provinz Xinjiang zu stoppen. Fälle von Schuldknechtschaft und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Textilarbeiterinnen, indem ihre Pässe einbehalten werden oder sie direkt in firmeneigenen Unterkünften wohnen müssen, sind in Bangladesch und Indien dokumentiert.
Selbst in Lieferketten, die bereits von Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen verstärkt überprüft werden, kommt es zu Verstößen gegen nationale und internationale Vorgaben. Im Agrar- und Rohstoffsektor gibt es ebenfalls immer wieder Fälle von moderner Sklaverei, sei es in Minen zur Gewinnung seltener Erden oder beim Anbau von Kakao.
Bekämpfung moderner Sklaverei
Moderne Sklaverei ist in vielen Ländern ein strukturell verankertes Problem. Aus diesem Grund können Appelle an den Endverbraucher alleine der modernen Sklaverei auch kein Ende setzen.
Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit und weitere soziale Herausforderungen entlang internationaler Lieferketten können nicht mit einem einzelnen Gesetz oder einer gezielten Initiative erfolgreich bekämpft werden.
Den bisher nur freiwilligen Selbstverpflichtungen der Industrien – wie die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen und die OECD Leitlinien für Multinationale Unternehmen – werden aber zunehmend nationale gesetzliche Regelungen an die Seite gestellt. Am prominentesten und explizit auf das Thema moderner Sklaverei ausgerichtet ist der UK Modern Slavery Act von 2015. Gesetze zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen zielen in dieselbe Richtung und decken auch weitere grundsätzliche Arbeitsrechte ab, wie beispielsweise die ILO-Kernarbeitsnormen. Nachdem in Frankreich bereits 2017 ein solches Gesetz verabschiedet wurde, nahmen die Diskussionen darüber auch in anderen Ländern zu. In Deutschland wurde im Juni 2021 das sog. Lieferkettengesetz verabschiedet. Ziel des Gesetzes ist es, Menschenrechte und Umwelt in der globalen Wirtschaft besser schützen.
Die Britische Regierung initiierte 2017 außerdem einen „Call to Action on Modern Slavery“ bei den Vereinten Nationen, dem sich 85 Länder angeschlossen haben. Deutschland ist bis heute nicht dabei. Der Aufruf erklärt die Vergabepraktiken der öffentlichen Hand zum wichtigsten Instrument zur Adressierung des Problems.
Um moderne Sklaverei aus den Lieferketten zu verdrängen, braucht es das Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen für eine sozial wie ökologisch nachhaltigere Wirtschaftsweise. Die Nationalen Gesetzgeber und die Europäische Union müssten mögliche Maßnahmen jetzt rechtlich verankern, um eine weitgehend einheitliche Rechtsordnung im europäischen Raum zu schaffen. Auch als Konsument können Sie selbstverständlich etwas gegen moderne Sklaverei tun, indem Sie ihr Kaufverhalten entsprechend anpassen und sich über Produkte und ihre Herkunft informieren.