Volkswagen soll in den 1970er-Jahren brasilianische Leiharbeiter unter unmenschlichen Bedingungen beschäftigt haben. Dem Konzern wird vorgeworfen die Arbeiter in einem System moderner Sklaverei und Schuldknechtschaft auf einer Farm menschenrechtswidrig beschäftigt zu haben. Die Opfer hoffen nun auf Entschädigung. In dem Fall ermittelt die brasilianische Justiz.
Hintergrund
Die Vorwürfe beziehen sich auf den Zeitraum von 1974 bis 1986, in dem der Autobauer eine Farm am Rande des Amazonasbeckens betrieb. Die Verbrechen sollen auf dem Farmgelände an Leiharbeitern verübt worden sein, die für die Rodungsarbeiten eingesetzt wurden.
Zu dieser Zeit regierte in Brasilien das Militär. Auf Einladung der Generäle kaufte VW 1973 in der Amazonasregion 140.000 Hektar Land. Die Farm „Fazenda Vale do Rio Cristalino“, bekannt unter dem Namen „Fazenda Volkswagen“, sollte dem Konzern ein neues zusätzliches Geschäftsfeld eröffnen. Der Autohersteller wollte ins Fleischgeschäft einsteigen. Dafür sollten Rodungsarbeiten durchgeführt werden, die der Konzern bei Arbeitsvermittlung in Auftrag gegeben hatte.
Diese sollen dann Hunderte Leiharbeiter auf die Farm gebracht und versklavt haben. Laut der Ermittler geschah dies mit Wissen und Billigung von VW in Wolfsburg. Dem Anhörungsprotokoll zufolge stellten die Ermittler heraus, dass sie bei den Ermittlungen zur VW-Farm auf die „schlimmsten Umstände, die den Staatsanwälten im Bereich moderner Sklaverei je zur Kenntnis gelangt sind“, gestoßen seien.
Die Vorfälle in Brasilien
Die Verbrechen sollen von den Arbeitsvermittlern verübt worden sein, die von der Farmleitung mit den Rodungen beauftragt wurden, sowie ihren bewaffneten Aufpassern. Bei missglückten Fluchtversuchen sollen Leiharbeiter angeschossen, verprügelt und gefesselt worden sein. Selbst Schwerkranke sind angeblich mit vorgehaltener Waffe zur Arbeit gezwungen und erniedrigt worden. Zeugenaussagen beschreiben schreckliche Szenarien: wie Arbeiter die Waffe der Aufpasser in den Mund nehmen mussten, wie die Frau eines Arbeiters als Strafe für einen Fluchtversuch vergewaltigt wurde und wie auch Minderjährige auf der Farm gegen ihren Willen festgehalten wurden.
Der zuständige Staatsanwalt Rafael Garcia spricht von unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Arbeiter sollen Malaria bekommen haben, zum Teil gestorben und auf der Farm begraben worden sein, ohne dass ihre Familien informiert worden seien. Kranken oder Verletzten soll regelmäßig die Behandlung verweigert worden sein. „VW hat diese Form von Versklavung offensichtlich nicht nur akzeptiert, sondern auch befördert – es war schlichtweg billige Arbeitskraft“, so Garcia.
Medienrecherchen aus 2017 hatten ergeben, dass die Leiharbeiter aus entlegenen Dörfern mit falschen Versprechungen auf die Farm gelockt wurden. Dort angekommen berechneten die Arbeitsvermittler entgegen den Absprachen nachträglich unter anderem den Transport zur Farm und Verpflegung.
Unter dem Vorhalt der Abarbeitung dieser „Schulden“ wurden die Leiharbeiter nach eigener Schilderung auf der Farm festgehalten und zur Arbeit gezwungen. Zeugenaussagen nach mussten die Leiharbeiter auch für Nahrungsmittel hohe Preise zahlen, so dass sie weiter verschuldet blieben. Dies sind klassische Fälle von Schuldknechtschaft. (Mehr zu den Erscheinungsformen moderner Sklaverei finden sie hier.)
Das Verfahren bisher
Die erste Anhörung des Konzerns fand am 14. Juni 2022 statt. Dabei äußerte sich VW nicht inhaltlich. Die Anwälte des Autobauers beantragten eine Frist bis zum 27. September, bis zu der sich VW schriftlich zu den Ermittlungen einlassen will. VW ließ über das Protokoll seiner Anwälte verlauten, dass der Konzern den Fall aber sehr ernst nehme und sich einsatzbereit zeige.
Die Staatsanwaltschaft fordert von VW die Herausgabe von Unterlagen zur Farm in Deutschland und Brasilien.