Einführung
Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind eine Sammlung vom Richtlinien, die 2011 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden. Sie sollten die Verletzung von Menschenrechten durch Wirtschaftsunternehmen verhindern oder zumindest minimieren.
Hintergrund
Menschenrechte sind lange Zeit als Rechte verstanden worden, die ein Mensch gegenüber dem Staat hat. Wer einen Besucher hinauswirft aus seinem Haus wirft, weil der politische Reden schwingt, die den eigenen Anschauungen widersprechen, ist möglicherweise unhöflich. Eine Verletzung der Menschenrechte begeht er nicht. Der Gastgeber ist nämlich nicht an das Grundgesetz oder die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden, die Meinungsfreiheit garantieren.
Schickt dagegen der Bürgermeister die Polizei, um einen Redner verhaften zu lassen, der auf dem Rathausplatz eine Neuwahl fordert, berührt das die Meinungs- und Äußerungsfreiheit, die in der Universalen Erklärung der Menschenrechte verbrieft ist. Der Bürgermeister ist ein staatliches Organ. Für ihn gilt das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention ist auf sein Verhalten gegenüber Bürgern anwendbar.
Diese Beschränkung der Grundrechte auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger hat teilweise historische Gründe. Menschenrechte wurden den Regierenden abgetrotzt, von der Magna Charta über die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte bis zur Paulskirchenverfassung von 1848.
Daneben hängt es auch mit der Form zusammen, in der Menschenrechte festgeschrieben werden, dass diese zunächst als Rechte von Bürgern gegenüber dem Staat verstanden werden. Menschenrechte werden weitgehend durch internationale Verträge garantiert. Diese werden eben von Staaten unterschrieben, die darin bestimmte Verpflichtungen eingehen. Folgerichtig richtet sich der Anspruch auf Befolgung dieser Verpflichtungen dann auch gegen den Staat.
Allerdings hat es sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert, dass die Fokussierung auf den Staat zu kurz greift. Auch Unternehmen beeinflussen das Leben von Menschen erheblich; und für den Betroffenen macht es keinen Unterschied, ob er von einem Polizisten misshandelt wird oder von einem Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes, der für ein Unternehmen arbeitet.
Daher gibt es Bemühungen, die Pflichten von Unternehmen im Bereich der Menschenrechte zu definieren und Unternehmen ihre Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte bewusst zu machen. Diese Entwicklung nahm vor allem in den 90er Jahren Schwung auf, vorangetrieben vor allem durch große Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch. Dabei spielte die Zerstörung der Umwelt im Nigerdelta und der Lebensgrundlagen der Menschen dort durch Ölförderung eine wichtige Rolle. Im Nigerdelta wird seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Öl gefördert. Ein wichtiger Akteur ist Royal Dutch Shell. Durch den Gebrauch veralteter Pipelines und andere Faktoren kam es immer wieder zu ganz erheblichen Umweltschäden. In Nigeria formierte sich eine Protestbewegung. 1995 wurden mehre Führer dieser Bewegung, darunter der Schriftsteller Ken Saro Wiwa, in einem Schauprozess zum Tode verurteilt und kurz darauf hingerichtet. Kritiker machten Shell nicht nur für die Umweltzerstörung verantwortlich, sondern vermuteten, dass das Unternehmen auch bei der Verurteilung Saro Wiwas seine Hände im Spiel gehabt hatte.
Dies warf ein Schlaglicht auf den Einfluss, den Unternehmen auf die Verwirklichung der Menschenrechte haben.
Entstehung
Die Vereinten Nationen (United Nations – UN) ergriffen daher die Initiative. Sie wollten Maßnahmen ergreifen, um die Achtung von Menschenrechten durch Unternehmen zu gewährleisten.
Es gab (oder gibt) grundsätzlich zwei Ansätze, um Unternehmen für die menschenrechtlichen Folgen ihres Handelns in die Verantwortung zu nehmen. Die einen befürworten die Verabschiedung rechtlich verbindlicher internationaler Regeln, an die sich Unternehmen zu halten haben und für deren Verletzung sie juristisch zur Rechenschaft gezogen werden können. Andere lehnen derartige Regeln ab; sie halten eine freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen für die bessere Lösung.
Innerhalb der Vereinten Nationen gab es eine Arbeitsgruppe, die sich mit der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen befasste. Diese erarbeitete Vorschläge für rechtlich verbindliche Regelungen von menschenrechtlichen Pflichten von Unternehmen.
Letztlich schlugen die VN aber einen anderen Weg ein: 1999 hielt der damalige Generalsekretär der VN, Kofi Annan, eine Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Er appellierte an Manager und Unternehmer, sich stärker für Menschenrechte zu engagieren und sich der menschenrechtlichen Auswirkungen ihrer Handlungen bewusst zu werden. Damit war klar, dass die VN eher auf die Kooperation der Unternehmen und eine gemeinsame Anstrengung setzten als ihnen strikte Regeln aufzuerlegen.
Die Reden Annans führte ein Jahr später zur Gründung des Global Compact, einer Initiative von Unternehmen zur Achtung und Förderung der Menschenrechte.
2005 ernannte Annan den Politikwissenschaftler John Ruggie zum Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte. Ruggie hatte den Auftrag, Empfehlungen zu erarbeiten, um die Verletzung von Menschenrechte durch Wirtschaftsunternehmen zu verhindern oder zu reduzieren. Er bezog früh die Position, dass er die Schaffung juristisch verbindlicher Pflichten für Unternehmen nicht für einen gangbaren Weg hielt. Nach seiner Auffassung bot eine freiwillige Zusage von Unternehmen, bestimmte Normen einzuhalten, verbunden mit der Unterstützung der Initiative durch Regierungen und Menschenrechtsorganisationen die beste Perspektive zum Schutz der Menschenrechte. Er entwarf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Im Juli 2011 verabschiedete der Menschenrechtsrat der VN die Leitprinzipien an.
Video: Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
Inhalt
Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte begründen keine juristischen Pflichten für Unternehmen; sie enthalten keine neuen verbindlichen Regeln. Sie betonen bestehende Gesetze und Pflichten nach internationalem Recht und zielen darauf ab, dass sich Unternehmen zu deren Einhaltung verpflichten.
Die Leitprinzipien ruhen auf drei Säulen:
- Der Pflicht zum Schutz
- Der Pflicht zum Respekt vor Menschenrechten
- Der Pflicht zum Zugang zu einem wirksamen Rechtsmittel
Pflicht zum Schutz
Bei der Pflicht zum Schutz geht es um die staatliche Pflicht zum Schutz von Menschenrechten. Wie beschrieben, sind Menschenrechte zunächst Schutzrechte gegenüber dem Staat. Sie sind damit auf ein Unterlassen gerichtet: Staaten müssen es unterlassen, die Menschenrechte zu verletzen. Darüber hinaus ergeben sich aus den Menschenrechten aber auch sogenannte positive Pflichten („positive obligations“) des Staates. Das bedeutet, dass Staaten auch aktiv bestimmte Maßnahmen treffen müssen, damit Bürger in den Genuss der Menschenrechte kommen. Sie müssen beispielsweise Gesetze erlassen, die das Regelwerk dafür schaffen, dass Bürger ihre Menschenrechte ausüben können. Beispielsweise müssen die Regeln über Demonstrationen innerhalb eines Staates so ausgestaltet sein, dass Bürger ihre Menschenrechte auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung auch tatsächlich ausüben können.
Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte betonen in ihrer ersten Säule die Pflichten des Staates, aktiv dafür Sorge zu tragen, dass Menschen ihre Rechte tatsächlich ausüben können.
Pflicht zum Respekt
Die Pflicht zum Respekt betont, dass Unternehmen verpflichtet sind, Gesetze und Regeln zum Schutz der Menschenrechte zu beachten. Sie fordert Unternehmen auf, sich der Folgen bewusst zu sein, die ihre Handlungen auf dem Gebiet der Menschenrechte haben können; Unternehmen sollen daher bei ihrer Geschäftstätigkeit die menschenrechtlichen Risiken im Blick haben und bei allen Geschäftsentscheidungen die menschenrechtlichen Auswirkungen bedenken.
Außerdem werden Unternehmen aufgefordert, zu berichten, wie sie diesen Pflichten entsprechend und ein klares Bekenntnis zur Achtung der Menschenrechte zu formulieren.
Zugang zu einem wirksamen Rechtsmittel
Die Säule, die sich mit dem Zugang zu einem wirksamen Rechtsmittel befasst, richtet sich wiederum an die Staaten. Staaten werden aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass es in ihrem Rechtssystem die Möglichkeit gibt, sich gegen Menschenrechtsverletzungen (auch) durch Unternehmen zur Wehr zu setzen und Rechtsschutz zu suchen.
Kritik
Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte werden weithin als großer Fortschrift beim Schutz der Menschenrechte angesehen. Die UN and Wirtschaftsverbände präsentieren sie als das international am weitesten anerkannte Regelwerk für menschenrechtliche Pflichten von Unternehmen.
Kritiker machen jedoch geltend, dass die UN-Leitprinzipien eben keine rechtlich verbindlichen Regeln enthalten. Damit gäben sie beispielsweise Opfern von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen keine Möglichkeit, ihre Rechte durchzusetzen und keine Handhabe, Unternehmen zur Einhaltung ihrer Pflichten zu zwingen. Die Leitlinien, heißt es weiter, enthielten zwar viele wohlklingende Formulierungen, jedoch wenige konkrete Standards. Große Menschenrechtsorganisationen haben sich kritisch zu den UN-Leitprinzipien geäußert. In ihrem Buch „Corporate Human Rights Violations“ haben Khoury und Whyte dargestellt, wie die UN von ihrem ursprünglichen Plan zur Verabschiedung verbindlicher Regeln für Wirtschaftsunternehmen abrückten und welche Rolle dabei Lobbying durch die Wirtschaft spielte.
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